Sonntag, der 13.Am Sonnabend, dem 12. August, um 16 Uhr unterzeichnet Walter Ulbricht, Vorsitzender des Nationalen Verteidigungsrates der DDR, die Befehle für die Sicherungsmaßnahmen an der Staatsgrenze der Deutschen Demokratischen Republik zu Westberlin. Er übergibt sie an Erich Honecker, der als Sekretär des Nationalen Verteidigungsrates der DDR im Auftrage des Politbüros des ZK der SED die politische und organisatorische Vorbereitung und Durchführung der Sicherungsmaßnahmen leitet. Damit läuft die Aktion an.

Noch am 12. August erhalten alle für den Einsatz am folgenden Tag vorgesehenen Truppenteile und -verbände den Einsatzbefehl. Um 0 Uhr werden die bewaffneten Organe der DDR und sowjetische Truppen in Bereitschaft versetzt. Einheiten der Nationalen Volksarmee und der Volkspolizei-Bereitschaften befinden sich bereits auf dem Marsch zu Nachtübungen mit scharfer Munition, als sie durch Melder zur Staatsgrenze dirigiert werden. Am Außenring um Westberlin eingetroffen, nehmen sie sofort Kontakt zu den sich dort befindenden Grenzsicherungskräften und zu den benachbarten sowjetischen Einheiten auf. In den frühen Morgenstunden treffen eine motorisierte Schützendivision, Pionier- und Panzereinheiten der Nationalen Volksarmee sowie Verstärkungen der Volkspolizei-Bereitschaften und der Verkehrspolizei in der Hauptstadt ein. Die Stäbe stellen sofort untereinander Verbindung her.

Die Kampfgruppen werden um 1 Uhr in Berlin und um 1 Uhr 30 in Frankfurt/Oder sowie in Potsdam alarmiert.

Gegen Mitternacht werden die führenden Funktionäre der Berliner Organisation der SED zusammengerufen. Paul Verner, verantwortlich für die Durchführung der Maßnahmen in Berlin, erläutert die Lage, übergibt die entsprechenden Dokumente und umreißt die Aufgaben, die unmittelbar vor der Partei stehen: Mobilisierung der gesamten Parteiorganisation, Alarmierung und Einsatz der Kampfgruppen, Aufklärung der Bevölkerung über die getroffenen Maßnahmen, Schaffung der Voraussetzungen für einen ungestörten Produktionsbeginn am 14. August. Funktionäre des FDGB und der FDJ nehmen an dieser Zusammenkunft teil. Noch in der Nacht rufen die FDJ-Kreisleitungen ihre Funktionäre zusammen und beauftragen sie, aktiv die Grenzsicherung und die Maßnahmen in den Betrieben zu unterstützen sowie bei der Aufrechterhaltung von Ruhe und Ordnung in Berlin zu helfen.

Um 0 Uhr erhält der Minister für Verkehrswesen, Erwin Kramer, die Befehle zum Abbruch des direkten Verkehrs zwischen der DDR und Westberlin. Die S-Bahn aus Staaken hält um 1 Uhr 10 in Spandau. Die Passagiere werden aufgefordert, den Zug zu verlassen. Er wird nach Staaken zurückgeführt. Bis 2 Uhr unterbricht die Deutsche Reichsbahn den gesamten S-Bahn-Verkehr zwischen der DDR und Westberlin und beginnt, ihn für Westberlin und die Hauptstadt der DDR getrennt zu organisieren. Ebenfalls noch in der Nacht werden die Fahrpläne der U-Bahn und der anderen Verkehrsmittel umgestellt.

Gegen 2 Uhr sperren das Sicherungskommando Berlin und Volkspolizei-Bereitschaften das Brandenburger Tor und nehmen erste Schwerpunkte der Grenze zu Westberlin unter Kontrolle. Ab 3 Uhr wird die gesamte Grenze zwischen der Hauptstadt der DDR und Westberlin befestigt. Volkspolizei-Bereitschaften, Kampfgruppen und Angehörige des Wachregiments des Ministeriums für Staatssicherheit werfen Erdwälle auf, legen Stacheldraht aus, rammen Betonpfähle in die Erde und setzen spanische Reiter. Wichtige Übergänge werden durch Panzerfahrzeuge gesichert. Um 6 Uhr ist die Grenze zu Westberlin gesperrt, um 15 Uhr ist sie gesichert.


Walter Ulbricht, Vorsitzender des Staatsrates der DDR und Erster Sekretär des ZK der SED, dankt Angehörigen der NVA für ihre Einsatzbereitschaft.


Erich Honecker, Mitglied des Politbüros und Sekretär des ZK der SED, im Gespräch mit Angehörigen der Grenztruppen.


In den Berliner Kreisleitungen der SED wird seit Mitternacht fieberhaft gearbeitet. So ruft zum Beispiel die Kreisleitung des Stadtbezirks Prenzlauer Berg alle Sekretäre der Betriebs- und Wohnparteiorganisationen zusammen, informiert über die Ereignisse der Nacht und erläutert die nächsten Aufgaben. Der Rat des Stadtbezirks faßt alle leitenden Mitarbeiter - auch aus den Betrieben - zusammen, um zwei Maßnahmen einzuleiten: Vorbereitung der Arbeitsaufnahme der Grenzgänger, planmäßige Arbeit der Produktionsbetriebe und Versorgungseinrichtungen. Es geht dabei darum, die Lücken, die durch den Einsatz der Kampfgruppenangehörigen entstehen, zu schließen und die ehemaligen Grenzgänger möglichst schnell in die Gesellschaft der DDR zu integrieren. Zugleich trifft der Rat des Stadtbezirks Vorkehrungen, um eventuell einsetzenden Hamsterkäufen der Bevölkerung begegnen zu können. Um 5 Uhr 45 befinden sich auf 28 S- und U-Bahnhöfen Agitatorengruppen der Kreisleitungen der SED im Einsatz. Sie verteilen Flugblätter mit den Beschlüssen der Regierung der DDR, der Volks-kammer und der Erklärung der Regierungen der Teilnehmerstaaten des Warschauer Vertrages. Während die Mehrzahl der Bürger sie nimmt, liest und Verständnis für die Maßnahmen zeigt, schimpfen ehemalige Grenzgänger über den Verlust ihrer Verdienstmöglichkeiten in Westberlin und auf die Einschränkung ihrer "persönlichen Freiheit".

Bereits um 6 Uhr sind 80 Gewerkschaftsfunktionäre in 12 Berliner Versorgungsbetrieben, um den Arbeitern und Angestellten die Lage zu erläutern. Zu Diskussionen kommt es dort, wo es um familiäre Bindungen geht. Die Funktionäre können darauf verweisen, daß friedliebende Westberliner Bürger die Hauptstadt betreten dürfen. Die Hoffnung der Werktätigen beruht jedoch darauf, daß der Imperialismus der BRD doch noch gezwungen werden könne, auf die Friedens- und Verständigungsvorschläge der DDR einzugehen, wie sie im Friedensplan unterbreitet worden sind.

Während die Umstellung des S-Bahnverkehrs im allgemeinen zügig vor sich geht, treten auf dem S-Bahnhof Friedrichstraße Komplikationen auf. Über Nacht wird dieser Durchgangsbahnhof zu einer Station, auf der die Linien aus Richtung Osten und Westen enden. Um den reibungslosen und unfallfreien Verkehr in Richtung Alexanderplatz zu gewährleisten, muß eine Weiche eingebaut werden. Grenzgänger und Westberlinbesucher - darunter auch solche Bürger, die die DDR verlassen wollten - sammeln sich. Um 6 Uhr sind 300 Personen auf dem Bahnhof. Ihre Zahl wächst ständig und bald sind es 1 000. Die Bereitschaftspolizei wird verstärkt. Die SED erhöht die Zahl ihrer Agitatoren. Ab 13 Uhr läuft der S-Bahnverkehr reibungslos, und die Menschenansammlungen lösen sich langsam wieder auf.

Im Laufe des Vormittags entsenden die Kreisleitungen der SED Hunderte von Agitatoren an solche Brennpunkte wie das Brandenburger Tor, die Grenzübergänge Friedrichstraße, Wollankstraße und Brunnenstraße. Bis zu diesem Zeitpunkt stehen dort häufig Angehörige der Volkspolizei allein den Ansammlungen gegenüber. Sie beantworten geduldig Fragen, Weisen Provokationen zurück und bauen die Grenzsicherung aus.

In den Nachmittagsstunden bilden sich Menschenansammlungen auf beiden Seiten der Staatsgrenze. Mehr Besucher aus Westberlin als an den anderen Sonntagen kommen in die Hauptstadt der DDR. Viele von ihnen wollen sich informieren, andere treibt die Neugier. Aber auch die Tätigkeit der Feinde des Sozialismus wird deutlicher spürbar. Provokateure treten in größerer Anzahl auf und fordern: "Durchbruch durch die Grenze!", "Streik am Montag!" Steine werden geworfen, Drohungen ausgestoßen: "Dich möchte ich mit Benzin übergießen und dann anstecken!" Andere bieten Geld, um einen Durchschlupf zu erhalten. Sie ernten Heulen. "Damen", die nicht mehr ihrem Gewerbe am Kurfürstendamm nachgehen können, klagen über den Verlust ihrer "Gewerbefreiheit". Provokateure und Aufwiegler werden den Sicherheitsorganen übergeben. Von Westberliner Seite wird mehrfach versucht, die Grenzsicherungsanlagen niederzureißen. Es müssen Wasserwerfer eingesetzt werden. Volkspolizei und Agitatoren drängen die Ansammlungen von Bürgern der DDR von der Grenze zurück. Die Spannung löst sich. Ab 16 Uhr gibt es nur noch kleinere Gruppen in der Hauptstadt, die sich überwiegend aus Jugendlichen auf Motorrädern zusammensetzen. Auch sie werden von Kampfgruppenmitgliedern und Agitatoren zerstreut, sammeln sich aber an anderen Punkten erneut. Nach 20 Uhr lösen sich auch diese Gruppen allmählich auf.

Am Vormittag des 14. August versammeln sich auf der Westberliner Seite zwischen dem Potsdamer Platz und dem Brandenburger Tor Tausende von Menschen - schreiende und schimpfende oder auch nur neugierige und besorgte. Die Erregung wächst.


Am Brandenburger Tor (14. August)


Hauptmann Ganßauge schließt am 14. August den Grenzübergang am Brandenburger Tor.

Ein Wasserwerfer gibt ihm Rückendeckung, als sich eine Gruppe aus Westberlin drohend nähert.


Da wird um 13 Uhr der Grenzübergang am Brandenburger Tor geschlossen und die Kampfgruppe, die bisher an dieser Stelle nur rückwärtige Dienste versehen hat, nimmt zusammen mit dem Sicherungskommando die vorderste Linie ein. Die zweite Kette bilden die Posten der Volkspolizei, und dahinter stehen die Einheiten der Nationalen Volksarmee. Am Marx-Engels-Platz haben sie ihre schweren Waffen. Werden Provokateure zu aufdringlich, packen Arbeiterfäuste zu. Auch ein Strahl aus den Wasserwerfern kühlt die Gemüter. Nur langsam begreifen sie, daß die Pläne der herrschenden Bonner Kreise auf Sand gebaut sind.


Durch diese Anordnung des Senats von Berlin (West) werden die Besuche von friedliebenden Bürgern Westberlins in der Hauptstadt der DDR unterbunden.


klick zurück weiter klick

Startseite