Die SED mobilisiert ihre MitgliederEs war der Nachmittag des 7. Juli 1961. Bis wenige Minuten vor Beginn der Aktivtagung der Berliner Bezirksorganisation der SED diskutierten kleine Grüppchen in Räumen und Gängen. Viele hielten das "Neue Deutschland" in der Hand, und man machte sich gegenseitig auf einzelne Passagen des Friedens planes aufmerksam. Es herrschte eine erwartungsvolle Atmosphäre, ging es doch um entscheidende Fragen der weiteren Entwicklung.

Der sich seit Monaten ständig verschärfende kalte Krieg der BRD gegen die DDR hinterließ bereits tiefe Spuren auf wirtschaftlichem Gebiet in der Hauptstadt- und nicht nur dort. Die konkreten Zahlen des vergangenen Halbjahres lagen noch nicht vor. Viele der Anwesenden wußten aber aus ihren Betrieben, daß es nicht besonders rosig aussah. Während die Bruttoproduktion nur leicht anstieg, machten die Löhne einen deutlichen Sprung. Das mußte das Mißverhältnis von Kaufkraft und Warenangebot noch zuspitzen. Vor allem blieb jedoch der Export hinter den Planaufgaben zurück.

Das ideologische Bombardement von Westberlin gegen die DDR nahm laufend zu. Der Gegner wollte, das war deutlich, daß Unsicherheit in der Bevölkerung Platz griff. Er versuchte, einen Gegensatz zwischen SED und Volksmassen zu schaffen. Seit Monaten mühten sich Kräfte des Imperialismus, eine Bürgerkriegsstimmung in der DDR zu schüren. - Die Ideologen und Propagandisten des Imperialismus strapazierten die Geduld der Bürger der DDR bis aufs äußerste, wenn sie mit süßer Stimme von "Brüdern und Schwestern" sprachen und gleichzeitig schamlos Abwerbung und Menschenhandel betrieben sowie landwirtschaftliche, industrielle und kulturelle Einrichtungen der DDR in Flammen aufgehen ließen. Und zur selben Zeit schlug die DDR ein Abkommen des guten Willens vor.


Aktivtagung der Berliner Bezirksorganisation der SED am 7. Juli 1961 in der Werner-Seelenbinder-Halle


Die mehr als 5 000 in der Werner-Seelenbinder-Halle versammelten Mitglieder der Berliner Organisation der SED aber gehörten nicht zu denen, die auch die linke Wange hinhalten, wenn man sie auf die rechte schlägt. Sie kannten die Forderungen des 13. Plenums des ZK der SED, das Anfang Juli getagt hatte Die Kampfkraft jeder Grundorganisation muß weiter erhöht werden. Auf Mitgliederversammlungen wird gründlich über die Verwirklichung der Parteibeschlüsse und die Erfüllung des Volkswirtschaftsplanes diskutiert, werden alle Parteimitglieder mit den politisch-ideobgischen Grundfragen der Politik der Partei umfassend vertraut gemacht. Es gilt, die gesamte Partei noch wirksamer für die offensive Auseinandersetzung mit dem Imperialismus zu rüsten.

Paul Verner, 1. Sekretär der SED-Bezirksleitung Berlin auf der AktivtagungAls Paul Verner, Sekretär des Zentralkomitees der SED und 1. Sekretär der Berliner Parteiorganisation, an das Rednerpult trat, erstarb jedes Geräusch, und man hätte die berühmte Stecknadel zu Boden fallen hören können. Jeder erwartete Antwort auf die aktuellen Fragen.

Paul Verner legte dar: Der "Deutsche Friedensplan" muß zur Grundlage einer breiten ideologischen Auseinandersetzung mit den Zielen und den Methoden des Klassenfeindes in allen Betrieben und Häusern gemacht werden. Die geduldige Beantwortung aller auftretenden Fragen der Bevölkerung soll so erfolgen, daß von ihr unmittelbar Impulse für die allseitige Erfüllung des Volkswirtschaftsplanes ausgehen. Die DDR beabsichtigt nicht, so erklärte der Redner, sich in die innere Ordnung Westberlins einzumischen oder die Verbindung Westberlins zu den Ländern der Welt zu unterbrechen. Sie beabsichtigt aber, ihre eigenen souveränen Rechte durchzusetzen und die Störmöglichkeiten von Westberlin zu unterbinden. Das kann zu Spannungen und zu Störungen des Handels mit den NATO-Staaten führen. Deshalb haben sich die Betriebsparteiorganisationen und alle anderen betrieblichen Stellen in den nächsten Tagen eine Übersicht zu verschaffen, aus welchen Ländern die Betriebe Importe beziehen. Die Betriebe erarbeiten in Verbindung mit den dafür verantwortlichen staatlichen Organen dann Übersichten darüber, welche Erzeugnisse aus kapitalistischen Ländern sofort durch solche aus sozialistischen ersetzt werden können und welche neu entwickelt werden müssen.

In Anbetracht des Übergangs der BRD zur beschleunigten Aggressionsvorbereitung betonte Paul Verner, daß jeder der Anwesenden verpflichtet ist, dazu beizutragen, den Ausbildungsstand und die Gefechtsbereitschaft der Kampfgruppen der Arbeiterklasse sowie aller anderen Organe der Sicherheit und Verteidigung schnell weiter zu erhöhen.

Nach der Aktivtagung kommt es darauf an, die Einwohner der Hauptstadt politisch-ideologisch und organisatorisch für die notwendig gewordenen Maßnahmen und für die Lösung der ökonomischen Aufgaben zu mobilisieren. Um die Kampfkraft der Bezirksorganisation der SED weiter zu erhöhen und sie in ganzer Breite in die Offensive zu führen, muß die Leitungstätigkeit von der Bezirksleitung über die Kreisleitungen bis zu den Grundorganisationen gestrafft werden.

In Auswertung der Parteiaktivtagung wurden dann in allen Berliner Grundorganisationen im Monat Juli Versammlungen durchgeführt, auf denen Mitglieder der Bezirksleitung, der Kreisleitungen, der Parteihochschule und der Bezirksparteischule sowie leitende Mitarbeiter des Staatsapparates die konkreten Fragen der jeweiligen Grundorganisation beantworteten und deren Aufgaben im einzelnen erläuterten. Um die Kampfkraft auch der Wohnparteiorganisationen der SED schnell zu erhöben, delegierten die Betriebsorganisationen Genossen vorübergehend dorthin. Das entschiedene und fundierte Auftreten der Mitglieder der SED wirkte sich auch auf den FDGB, die FDJ und die anderen Massenorganisationen und Parteien aus.


26. Juli

Aussprache im Sekretariat des Zentralkomitees der SED mit den Mitgliedern des Büros der Bezirksleitung der SED Berlin über die Erhöhung der Kampfkraft der Berliner Parteiorganisation. Im Ergebnis werden konkrete Maßnahmen zur Erfüllung des Volkswirtschaftsplanes - vor allem der Berliner Elektro- und Baubetriebe - festgelegt. Das erfordert, daß die politisch-ideologische Massenarbeit der gesamten Bezirksparteiorganisation aktiviert und vor allem in den Betrieben verstärkt wird. Mitglieder und Kandidaten des Politbüros des ZK der SED sprechen in den folgenden Tagen und Wochen auf Versammlungen in der Hauptstadt. Wirtschaftsfunktionäre und Propagandisten des zentralen Parteiapparates werden zur Unterstützung der Arbeit in die Kreisleitungen und Betriebe delegiert.

29. Juli

Die Regierung der DDR verurteilt in einer Erklärung den von der BRD und Westberlin betriebenen Menschenhandel mit Bürgern der DDR. Die Abwerber benutzen vor allem den Aufenthalt von Bürgern der DDR in Westberlin und der BRD, um diese durch Lockung, Drohung und Erpressung zur Republikflucht zu veranlassen. Die Regierung der Deutschen Demokratischen Republik ruft die Bevölkerung auf, den Kampf gegen den Menschenhandel zu unterstützen. Abwerbungen wer r den unter Strafe gestellt.

30. Juli

Aufruf der Brigade "Otto Krahmann" vom VEB Kabelwerk Oberspree Berlin. Unter der Losung:

"Laßt keinen Planrückstand zu! Schlagt die Militaristen mit Taten in der sozialistischen Produktion, und der Deutsche Friedensplan wird verwirklicht!" stellt sie ein Programm auf für die allseitige Erfüllung der Pläne, hohe Qualität der Erzeugnisse, Steigerung der Arbeitsproduktivität, Verbesserung der Versorgung der Bevölkerung, Einsparung von Rohstoffen und zur Störfreimachung der Wirtschaft.

31. Juli

Brief des Oberbürgermeisters von Groß-Berlin, Friedrich Ebert, an den Regierenden Bürgermeister von Westberlin, Willy Brandt, mit Vorschlägen zur Normalisierung der Beziehungen zwischen Westberlin und der Hauptstadt der DDR sowie zur Regelung des Grenzgängerproblems. Der Brief ist ein Versuch, die Lage um Westberjin zu entspannen und auf dem Verhandlungswege eine Verbesserung der Beziehungen herbeizuführen. Am 2. August teilt ein anonymer Sprecher des Westberliner Senats mit, daß dieser nicht mit dem Magistrat von Groß-Berlin verhandeln wird.

31. Juli

Stellungnahme des Demokratischen Blocks zur politischen Lage und zu den mit einer Friedensregelung zusammenhängenden Fragen. Er appelliert an die Mitglieder der Parteien und Massenorganisationen und an alle Bürger der DDR, durch Taten die Deutsche Demokratische Republik zu stärken und die von Westberlin ausgehenden Störmaßnahmen gegen Sozialismus und Frieden zu durchkreuzen.

1. August

Im VEB Berliner Glühlampenwerk konstituiert sich ein Komitee "Kampf gegen den Menschenhandel". Es fordert vom Magistrat der Hauptstadt, daß er wirksamere Maßnahmen gegen das Grenzgängerwesen ergreift. Innerhalb einer Woche werden in 37 Betrieben Berlins Komitees "Kampf gegen den Menschenhandel" gebildet, denen etwa 600 Personen angehören; in 40 Betrieben wird die Konstituierung solcher Komitees vorbereitet. Von den 600 Mitgliedern sind 50 Prozent Arbeiter, 30 Prozent Angestellte und 20 Prozent Intellektuelle. Je 10 Prozent etwa sind Jugendliche und Frauen. Mehr als die Hälfte der Mitglieder gehören keiner Partei an. Die Bewegung wird vom FDGB getragen. Die Komitees tragen wesentlich zur Entwicklung der Bereitschaft in den Betrieben bei, entschiedene Maßnahmen zur Sicherung der Staatsgrenze der DDR zu unterstützen.

2. August

Die Bezirksleitung der SED Berlin tritt zu ihrer 7. Tagung zusammen. Sie analysiert die Ergebnisse der Parteiarbeit vom Juli, legt Maßnahmen zur weiteren Erhöhung der Kampfkraft der Partei fest und berät konkrete Schritte des Kampfes gegen das Grenzgängerwesen, die Abwerbung und die wirtschaftliche Diversion. Ihr kommt eine große Bedeutung bei der ideologischen Vorbereitung der Sicherungsmaßnahmen zu. Ein Schwerpunkt besteht darin, alle Vorbereitungen zu treffen, um die DDR gegen ökonomische Erpressungsversuche abzusichern.

2. August

Beendigung eines Prozesses gegen 5 Personen vor dem Obersten Gericht der DDR, die die Abwerbung von Bürgern der DDR geschäftsmäßig betrieben haben. Der Hauptangeklagte, der mehr als 100 Angehörige der Intelligenz in die Hände westlicher Geheimdienste zu spielen versuchte, wird zu 15 Jahren Zuchthaus verurteilt. Der Prozeß liefert den Beweis, daß die Abwerbung ein Mittel des wirtschaftlichen und psychologischen Kampfes der BRD gegen die DDR ist.

3.-5. August

Beratung der Ersten Sekretäre der Zentralkomitees der kommunistischen und Arbeiterparteien der Staaten des Warschauer Vertrages in Moskau, der auch Vertreter der Bruderparteien der sozialistischen Länder Asiens beiwohnen. Die DDR unterbreitet Vorschläge zur Sicherung der Grenze gegenüber Westberlin, die sie vorher mit der UdSSR beraten hat. Die Beratung stimmt diesen Vorschlägen einmütig zu.

Damit laufen die direkten Vorbereitungen zum Schutz der DDR an, nachdem bereits vorher Übereinkünfte zur wirtschaftlichen, diplomatischen und militärischen Unterstützung getroffen waren.

4. August

Aufforderung des Magistrats von Groß-Berlin an die Grenzgänger, sich registrieren zu lassen. Rückwirkend ab 1. August müssen sie Mieten, Strom, Gas, Wasser und öffentliche Gebühren in Westmark entrichten. Bei dieser Maßnahme geht es vor allem darum, mit den Grenzgängern in umfassende Diskussionen zu kommen, ohne sie jedoch abzustoßen und von den anderen Werktätigen der DDR zu trennen. Unmittelbar nach der Veröffentlichung werden die Beschlüsse des Magistrats in annähernd allen Großbetrieben der Hauptstadt über den Betriebsfunk popularisiert. Zur Auswertung finden weiterhin in einigen Betrieben noch am selben Tag, in anderen an den folgenden Tagen Kurzversammlungen statt.

5. und 7. August

Agitatoren- und Propagandistenkonferenzen der SED in allen Berliner Stadtbezirken, Sie erfassen insgesamt etwa 5800 Personen. An allen Konferenzen nehmen Mitglieder der Blockparteien und Parteilose teil. Die SED stellt die Aufgabe: offensive massenpolitische Arbeit, Gründung von Komitees "Kampf gegen den Menschenhandel", Arbeit mit den Grenzgängern und Anschluß der Betriebe an den Aufruf der Brigade "Otto Krahmann".

7. August

Rundfunk- und Fernsehansprache des sowjetischen Ministerpräsidenten und Ersten Sekretärs des ZK der KPdSU, Nikita S. Chruschtschow. Er appelliert an die drei Westmächte, mit der Sowjetunion in Verhandlungen zu treten, um die Lage in Europa zu entspannen. N. S. Chruschtschow ruft die neutralen Staaten auf, dazu beizutragen, daß die Gefahr eines drillen Weltkrieges von der Menschheit abgewendet wird. Er macht auf die von der BRD ausgehenden Gefahren aufmerksam, und kündigt Maßnahmen zur Sicherung des Friedens in Mitteleuropa an.

8. August

Aufruf einer motorisierten Schützeneinheit der NVA an alle Soldaten, Flieger und Matrosen, die Ausbildung gefechtsnah zu gestalten, die Schießergebnisse zu verbessern und die Bestenbewegung breit zu entwickeln. Unter der Losung "Soldaten entscheiden durch Taten - die Ultras kommen nicht durch!" entsteht in allen Teilstreitkräften eine breite Wettbewerbsbewegung.

Iwan S. Konew, Marschall der Sowjetunion10. August

Ernennung Marschall I. S. Konews zum Oberkommandierenden der Gruppe der in Deutschland stationierten sowjetischen Streitkräfte.

Noch am selben Tag gibt der Marschall einen Empfang für die Westberliner Stadtkommandanten. Auf ihre Fragen nach den Truppenverschiebungen in der DDR antwortet er, daß, was immer auch geschehe, nichts gegen Westberlin unternommen werde.

10. August

Großkundgebung mit dem Vorsitzenden des Staatsrates der DDR und Ersten Sekretär des ZK der SED, Walter Ulbricht, im VEB Kabelwerk Oberspree Berlin. Er führt unter anderem aus, daß es notwendig sei, jetzt den Kriegstreibern in den Arm zu fallen und sie - entsprechend dem Aufruf der Brigade "Otto Krahmann" - mit Taten in der sozialistischen Produktion zu schlagen. Wenn es notwendig werde, werden die Grenzen der DDR zu Westberlin und zur Bundesrepublik "militärisch geschützt werden, und zwar sowohl durch Truppen der Nationalen Volksarmee wie durch Truppen unserer sowjetischen Freunde".

11. August

Die Volkskammer der DDR erklärt auf ihrer 19. Sitzung, daß eine ernste Gefahr für den Frieden in Mitteleuropa besteht. Sie beauftragt den Ministerrat der Deutschen Demokratischen Republik, alle Maßnahmen vorzubereiten und durchzuführen, die zur Sicherung des Friedens notwendig sind.

12. August

Der Ministerrat der DDR faßt den Beschluß, die noch offene Grenze zwischen dem sozialistischen und kapitalistischen Lager unter Kontrolle zu nehmen.

Die Maßnahmen ergeben sich aus den gemeinsamen Empfehlungen und Beschlüssen der Beratung in Moskau vom 3.-5. August und werden durch die gesamte militärische Kraft der Staaten des Warschauer Vertrages garantiert.


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